Inklusions-Spielplatz darf kein Traum bleiben sagt Janine Willrich

Pressebericht in der WAZ / Text : Vera Moselage

„Für mich steht das Ding schon.“ Bernd Nierhaus, besser bekannt als Rolli Rocker, ist wie immer die Zuversicht in Person. Und zwar ganz egal, ob es um einen Begleithund für ein behindertes Kind geht oder eine Urlaubsreise für eine krebskranke Mutter und ihre Kinder.

Doch dieses Mal hat sich der Mülheimer besonders viel vorgenommen: Er will einen kompletten Spielplatz umbauen. Die Anlage an der Aktienstraße mit mehr als 500 Quadratmetern Spielfläche soll zum ersten inklusiven Spielplatz der Stadt werden, beispielsweise mit einer Schaukel für Rollstühle, einem ebenerdigen Karussell oder einer inklusiven Kletterwand. Kostenpunkt nach seiner Einschätzung: um die 300.000 Euro.

„Ich habe schon mit dem Oberbürgermeister und dem Bauaufsichtsamt gesprochen. Aber das Projekt steht noch ganz am Anfang“, sagt Bernd Nierhaus, dessen Verein Rolli Rockers Sprösslinge dafür bekannt ist, unbürokratisch Hilfe für Menschen in Not zu mobilisieren. „Aber ich merke schon, um die Bürokratie kommen wir diesmal nicht drum herum. Das wird eine große Aufgabe.“

„Wir wollen keine separaten Spielflächen für Behinderte“

Bernd Nierhaus könnte in dieser Angelegenheit zum Pionier in der Region werden. Inklusive Spielplätze, die auch auf die Bedürfnisse von geistig und körperlich Behinderten eingehen, gibt es kaum in Deutschland. In der Landeshauptstadt Düsseldorf gibt es aktuell ein inklusives Spielgerät, ein Rollstuhlfahrerkarussell im Nordpark. Doch ein barrierefreies Gerät macht noch keinen inklusiven Spielplatz. Das ist unter anderem in der UN-Behindertenrechtskonvention geregelt, die seit 2009 ein Recht auf Teilhabe verankert hat – auch in der Freizeitgestaltung. „Inklusion bedeutet ja, ein Miteinander zu ermöglichen. Wir wollen keine separaten Spielflächen für Behinderte, sondern einen Spielplatz, auf dem jeder nach seinen Fähigkeiten spielen kann“, sagt Janine Willrich, Tochter von Rolli Rocker und Vorsitzende des Vereins.

Der Lokspielplatz an der Aktienstraße in Eppinghofen bietet laut Bernd Nierhaus viel Platz für einen inklusiven Umbau.
Aber was bedeutet es konkret, mit einem behinderten Kind auf den Spielplatz zu gehen? Andreas Holzinger bringt es in einem Satz auf den Punkt: „Es ist oft ganz einfach traurig, weil man vor allem sieht, was mit dem eigenen Kind nicht geht.“ Der Essener ist Vater des kleinen Mika (3), (siehe Bild) der durch Komplikationen im Mutterleib schwere Hirnschädigungen erlitten hat. Mika kann sich selbst nicht aufrecht halten, nichts greifen und muss permanent gestützt werden. Auf dem Spielplatz könne der Dreijährige nur zwei Geräte nutzen: die Babyschaukel und die Drehplatte.

Mülheimer Sponsoren sollen schon bereit stehen

Bernd Nierhaus hat sich vorgenommen, den inklusiven Spielplatz zu seinem persönlichen Projekt zu machen, solange es seine Gesundheit zulässt. 300.000 Euro sind eine stolze Summe, aber der Mann, der selbst im Rollstuhl sitzt, hat schon bei seinen üblichen Partnern nachgefragt und sei überall auf offene Ohren gestoßen. Nun hofft er auf Unterstützung der Stadt und auf Landeszuschüsse.

Der Einsatz für Kinder in Not war 15 Jahre lang sein Leben. Warum Bernd Nierhaus sein Vermächtnis jetzt an seine Tochter Janine übergeben muss.

Ich habe mein Herz für den Verein gegeben und das Herz ist jetzt kaputt.“ Bernd Nierhaus, besser bekannt als Rolli Rocker, sitzt in seinem Büro und reibt die behandschuhten Hände aneinander. Dann greift er in die Schachtel, die auf seinem Schreibtisch liegt und steckt sich eine an. Sein Büro, das ist die Straße vor dem Vereinslokal in Eppinghofen, sein Schreibtisch ist ein Gartentisch. Und wer wissen will, was Bernd Nierhaus da tut, muss sich nur mal eine halbe Stunde neben ihn setzen und mit anhören, mit welchen Sorgen und Anliegen die Menschen zu ihm kommen.
FREIZEIT UND SOZIALES
Kinderträume wurden am Sonntag wahr bei Rolli Rockers Familienevent an Mülheims Alter Dreherei. 20 Porsche standen bereit, um Kindern eine Probefahrt zu spendieren.
Rolli Rockers Mega-Fest in Mülheim: 20 Porsches nur für Kids
15 Jahre ist es her, seit Bernd Nierhaus den Verein „Rolli Rockers Sprösslinge“ gegründet hat, um kranken und behinderten Kindern zu helfen. Damals war er nach einer Multiple-Sklerose-Diagnose und seiner Frühverrentung auf der Suche nach einer neuen Aufgabe im Leben und fand im Verein seine Berufung. Seitdem ist er dafür bekannt, auch mal hemdsärmelig und an jeder Bürokratie vorbei dafür zu sorgen, dass ein behindertes Kind eine Therapie bekommt oder eine Flüchtlingsfamilie eine Wohnung.
Aber heute geht es ausnahmsweise nicht um andere. Heute geht es um ihn. Bernd Nierhaus möchte darüber reden, dass er den Staffelstab an seine Tochter abgibt und nicht länger dem Verein vorsitzt, für den er all die Jahre sieben Tage die Woche im Einsatz war. Den Grund nennt er ganz offen: Das Herz ist krank. „Ich habe nur noch 20 Prozent. Der Arzt sagt, ich soll die Zeit mit meiner Familie genießen.“ Er sagt es ohne zu zögern, einfach wie es ist.
Tochter Janine Willrich hat schon eine gute Nachricht zu verkünden
Ein junger Mann läuft an seinem Tisch vorbei und grüßt. Hier grüßt jeder, aber ausgerechnet er sagt: „Hey Bernd, geht’s dir gut?“ „Na klar“, ruft Bernd Nierhaus zurück. Für die Menschen hier soll alles ganz normal weitergehen. Dafür will seine Tochter Janine Willrich sorgen, die ab sofort Vorsitzende des Vereins ist. Die 35-Jährige hat zwei kleine Kinder und einen Teilzeitjob und hat trotzdem nicht gezögert. „Die Familie hält zusammen, das war schon immer schon so“, sagt sie.
Janine Willrich (35) hat einen Teilzeitjob und zwei Kinder. Trotzdem hat sie keinen Moment gezögert, das Vermächtnis ihres Vaters fortzuführen.
Janine Willrich (35) hat einen Teilzeitjob und zwei Kinder. Trotzdem hat sie keinen Moment gezögert, das Vermächtnis ihres Vaters fortzuführen.
Foto: Lars Heidrich / FUNKE Foto Services
Und doch schwingt Respekt mit. „Papas Fußstapfen sind verdammt groß, das ist wirklich nicht ohne.“ Sie möchte zunächst Kontakt zu den Sponsoren knüpfen, damit sie auch in Zukunft an den Verein denken. Die ersten guten Nachrichten kann Janine Willrich schon verkünden: Die LEG hat den Mietvertrag für den Laden am Löhberg verlängert, der als Anlaufstelle für Familien aus der Ukraine fungiert. Bis April geht der Betrieb auf jeden Fall weiter und auch darüber hinaus sieht es gut aus.
„Können wir mal unter vier Augen reden?“ Eine Frau schiebt ihren Rollator an den Gartentisch heran und heftet den Blick auf den 62-Jährigen. „Aber sicher“, sagt der und schaltet den Elektrorollstuhl ein. Das Gespräch dauert nicht lang, als er zurück an den Tisch gefahren kommt, erklärt er: „Sie wird uns ihren Nachlass vermachen. 80 Jahre ist sie alt, sieht aus wie 65.“
Schnelle Hilfe für Mülheimer Kinder ohne Antrag und Formular
Es ist nicht ganz einfach, die Aktivität des Vereins zu beschreiben, weil er an so vielen Stellen im Einsatz ist und weil er bis jetzt so eng an Bernd Nierhaus gebunden war. Da werden Lebensmittelgutscheine an Familien verteilt, die am Monatsende kein Geld mehr haben. Da wird Kinderkleidung an bedürftige Familien ausgegeben und es werden Ferienfreizeiten organisiert. Da wird Geld für eine Rolli-Rampe gesammelt oder für eine Delfin-Therapie in der Türkei. Alles ohne Antrag, alles ohne Formulare. „Familien die 24-Stunden-Pflege leisten, haben keine Zeit für Papierkram“, sagt er. Am ersten Weihnachtsfeiertag geht es traditionell in die Kinderkrankenhäuser in Duisburg, Essen und Oberhausen, um Süßigkeiten und Kuscheltiere zu verteilen. In diesem Jahr wird erstmals Janine Willrich die 150 Geschenktüten austeilen.
Bernd Nierhaus ist in der Stadt ein bekanntes Gesicht. Ständig wird er angesprochen, oft um Hilfe gebeten.
Bernd Nierhaus ist in der Stadt ein bekanntes Gesicht. Ständig wird er angesprochen, oft um Hilfe gebeten.
SOZIALES
Mülheimer Verein Rolli Rockers Sprösslinge trainiert mit Rollstuhlkindern freitags an der Oberstraße. Verein plant nun einen Gesangswettbewerb.
Rollstuhlsport für Kinder kann in Mülheim weitergehen
Als ihr Vater den Verein gegründet hat, war sie 20 Jahre alt und von dem Moment wurden „Rolli Rockers Sprösslinge“ auch Teil der Familiengeschichte. Nierhaus’ Ex-Frau Gabriele übernahm die Buchhaltung und Janine Willrich erinnert sich daran, dass zu Hause plötzlich Wildfremde vor der Tür standen, um Kisten mit Spenden abzugeben. Auf die Frage, ob er sich an weitere Anekdoten dieser Art erinnert, wird Bernd Nierhaus’ Gesicht ganz weich. „Das was wirklich hängenbleibt ist was anderes“, sagt er und berichtet von einem elfjährigen Jungen, den er im Kinderhospiz in Düsseldorf besucht hat und der ihm unbedingt seinen selbst bemalten Sarg zeigen wollte. Oder von dem Jungen, der im Krankenhaus im Sterben lag und noch um eine Extra-Tüte für seinen gesunden Bruder bat. Wenn er Geschichten wie diese erzählt, wird es rundherum still am Gartentisch.
Bernd Nierhaus richtet den Blick immer nach vorn
Bernd Nierhaus sagt von sich selbst, dass er keine schöne Kindheit hatte. Zwölf Jahre lebte er im Heim und schwor sich, selbst alles anders zu machen im Leben. Aus Sicht seiner Tochter hat er das geschafft. „Mein Vater ist ein Kämpfer durch und durch. Für ihn gab es immer nur den Blick nach vorn“, sagt die neue Vorsitzende. So ist es und so bleibt es. „Wir sehen uns“, sagt Bernd Nierhaus zum Abschied.